Der Dezember ist ein aufreibender Monat. Manchmal vergeht die Adventszeit unerträglich langsam, die Fensterchen im Adventskalender scheinen nie aufgehen zu wollen. Der erhoffte Geschenkberg unter dem Weihnachtsbaum liegt noch in unerreichbarer Ferne. Doch dann, später, im Berufsleben zerfliessen die Tage immer schneller und Termine und Fristen sausen nur so an einem vorbei. Alles muss noch vor den Feiertagen abgehakt sein, abgeheftet und aufgeräumt, damit ein frisches, blankes Jahr angegangen werden kann. Kaffeerunden, Weihnachtsessen, Apéros und Ansprachen prägen die letzten Tage und Stunden vor dem grossen Feiern.
Aber auch zu Hause ist es kaum ruhiger: Einladungen planen, Geschenke auftreiben, Partys organisieren, Freunde und Familie besuchen, Kerzenziehen mit den Kleinen, Weihnachtsmärkte abklappern mit den Grossen, was ist nicht alles in so kurzer Zeit unter einen Hut zu bringen!
Wen wundert’s, wird es auch auf dem Nachhauseweg hektisch. Es ist kalt, es regnet, der Bus hat Verspätung und alle wollen gleichzeitig ein- und aussteigen. Kinderwagen quetschen sich zwischen den Passagieren durch, wer zuhinterst steht will unbedingt zum Ausgang, wer bei der Türe steht, will partout noch nicht aussteigen.
Im Zwölferbus suchte ich mein inneres und äusseres Gleichgewicht – schwankend zwar, aber ohne Sturzgefahr. Zu gross war das Gedränge. Beim Bärenplatz stieg eine junge Mutter mit ihrer Kleinen in den Bus. Das Mädchen klammerte sich an einen prächtigen, hellblauen Luftballon an einem pinken Bändel. Ballon? Nein, eine Montgolfiere, eine fragile Riesenkugel, die über dem Kopf der Tochter schwebte und schwankte und die anderen Buspassagiere mit einem leisen Plonk, Plonk anstiess.
Ich wurde neugierig: würde die Kleine es schaffen, ihren Wunderballon heil durch die Busfahrt zu bringen? Ihre Mami schien sich dieselbe Frage zu stellen. Alle rundherum bereiteten sich insgeheim auf den Knall vor und auf die unausweichlichen Kindertränen – und auch auf die bevorstehende Enttäuschung.
Doch das kleine Feierabendwunder im Zwölfer geschah. Die gehetzten, müden Bernerinnen und Berner begannen sich zu entspannen, unmerkbar zurückzuweichen. Sie bildeten behutsam einen schützenden Kreis um die Kleine und ihren enormen Ballon. Das Mädchen nahm diese ungewöhnliche Solidarität mit grösster Selbstverständlichkeit entgegen, sie hatte nichts anderes erwartet und schaute vergnügt zu ihrem Ballon hoch.
Für die kurze Fahrt zwischen Zytglogge und Rathaus herrschte in der Ballonecke Bus eine friedliche, sozusagen vorweihnächtliche Stimmung, geübte Beobachter errieten hier und da ein feines Lächeln. An der Haltestelle Rathaus stiegen Mutter und Tochter aus. Die Mutter schien erleichtert zu sein und sich zu entspannen.
Die kleine Prinzessin hüpfte fröhlich den Weg Richtung Münsterplattform entlang, zog wild am Bändel, spielte mit ihrem Ballon, als hätte sie nie im Bus gestanden und hätte sich um ihren Ballon sorgen müssen.
Dann geschah das Unglück: Der Ballonbändel glitt von der kleinen Hand und der befreite Luftballon zog ruckelnd, aber zügig vor dem Münster hoch, war schon fast auf halber Höhe des hell beleuchteten Kirchenschiffs, glitt in an den Scheinwerfern vorbei, tief hinein in die dunkle Nacht.
„Aber jetzt geht die Musik richtig los!“, schoss es mir durch den Kopf. „Schade, es ist so lange gut gegangen.“ Ich meinte, die Enttäuschung der Kleinen bereits zu spüren.
Doch das Mädchen schaute still ihrem Ballon nach, wandte sich nach etlichem Überlegen an ihre Mutter und meinte: „Gäll Mami, jetzt ist er wäg? Er ist sicher schon bei den Ängeli oben.“
Für mich hingegen war es höchste Zeit für weiter, zum Mattelift und dann nach Hause zu eilen. Es blieb noch so viel zu erledigen.
20.11.2015 / Maibach